Sie haben 7 Bücher über die Kommissare Kilian und Heinlein geschrieben, darauf folgten drei Thriller um den Profiler Balthasar Levy, anschließend mehrere historische Romane. Und nun eine Rückkehr zu den Wurzeln, eine Fortsetzung der Kilian Heinlein – Reihe. Warum?
Ich wurde immer wieder darauf angesprochen. Wie geht es mit Kilian und Heinlein weiter? Wir warten … Im Grunde hatte ich die Reihe 2010 mit „Die Seilschaft“ beendet. Die Figuren waren auserzählt, das Konzept hatte sich überlebt. Ich wollte und will bis heute nicht die gleiche Geschichte ein Dutzend Mal erzählen oder Staffel um Staffel in die Länge ziehen, wie man es auf Netflix sieht. Kilian und Heinlein hatten ihre Zeit, sie sollten in Frieden ruhen.
Und wer oder was hat sie wieder zum Leben erweckt?
Mitten in der Arbeit am Theaterstück „Wunderland“, das auf 75 Jahre Deutschland seit Kriegsende zurückblickt und sich leider auch mit wiederaufgeflammtem Nationalismus und zunehmender Radikalisierung befassen muss, schoss ein Gedanke quer: Wie würden Kilian und Heinlein damit umgehen? Sehen auch sie nur Einzelfälle von rechter Gesinnung in den Sicherheitsbehörden oder sind sie schon einen Schritt weiter?
In „Gallo rosso“ geht es ja um rechte Netzwerke, aber auch um organisierte Kriminalität im Sinne einer paneuropäischen Mafia. Wie passt das zusammen?
Beiden gemein ist die Organisation Einzelner zu Gruppen, die in Netzwerken operieren, um ihre illegalen Ziele zu erreichen. Das tun sie vorzugsweise unter dem Radar der Behörden, gesellschafts- und länderübergreifend, mitunter auch mithilfe von kriminellen Elementen in Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Wenn ein Krimiautor das weiterspinnt, tun sich interessante und gar nicht so phantastische Schnittmengen auf. Stichwort: Win-Win.
Wie war es, nach zehn Jahren wieder zu den Figuren Kilian und Heinlein zurückzukehren?
Natürlich schreibe ich heute nicht mehr so wie damals, und natürlich können Kilian und Heinlein nicht mehr die selben sein. Ein Weiter-so war undenkbar, und ich denke, auch meine beiden Kommissare hätten sich quergestellt. Schließlich sind wir drei von den Ereignissen der letzten Jahre beeinflusst oder gar nachhaltig geprägt worden. Also Schluss mit dem Klamauk der ersten Bände, Kilian und Heinlein sind erwachsen geworden.
Das hört sich nach einem Neustart an. Werden die Fans der Reihe die beiden Kommissare wiedererkennen?
Ich würde es neudeutsch ein Upgrade nennen, und ja, die Leser werden Kilian und Heinlein ganz sicher wiedererkennen. Ich habe ihren Kern freigelegt, sodass sie über ein geweitetes emotionales Spektrum verfügen. Sie sind jetzt verletzlicher, aber auch entschiedener.
Und neue Leser? Kann man das Buch lesen, ohne die vorherigen Bände zu kennen?
Gegenfrage: Kann man sich auf etwas einlassen, ohne die Vorgeschichte zu kennen? Das macht doch den Reiz des Neuen aus.
Gallo rosso ist eine eigenständige Geschichte, die keine Vorkenntnisse benötigt. Für die Neuleser gibt es aber Hinweise, wer mit wem in Verbindung steht und welche Entwicklung sie genommen haben. Das wird wahrscheinlich eher die Kilian-Fans fordern.
Wie unterscheidet sich der neue Band konkret von den bisherigen?
Mehr Authentizität, mehr Glaubwürdigkeit und hoffentlich auch mehr Identifikation mit der Geschichte und den Figuren. Das Leben hat Kilian und Heinlein die Flausen ausgetrieben, sie haben schmerzhafte Niederlagen eingesteckt und Narben davongetragen. Ich liebe Narben, sie haben nichts entstellendes für mich, sondern zeugen von Erfahrung, Reife und Charakter.
Das klingt ein Stück nach Verbitterung. Leser müssen das nicht unbedingt mögen.
Ich bin nicht der Typ für kuschelige Katzenkrimis oder Krimihäppchen für zwischendurch. Ein Kriminalfall behandelt per Definition ein Verbrechen und das ist selten amüsant. Was aber nicht heißt, dass nicht hin und wieder skurrile oder lustige Situationen eintreten können. Die Tragik eines Verbrechens birgt auch widersinnige Komik. Man denke da an das stümperhafte Vorgehen mancher Verbrecher und, ja, leider auch Ermittler.
Ein guter Autor weiß, wovon er schreibt und war an den Schauplätzen seiner Geschichte. Sie auch?
Wer meine historischen Romane kennt, weiß, dass ich ausgiebig recherchiere. Das war bei „Gallo rosso“ nicht anders. Überraschend war für mich, dass mich das wahre Leben beim Schreiben eingeholt, manchmal sogar überholt hat. Was als Fiktion angelegt war, hat sich stellenweise als Tatsache herausgestellt.
Während des Lockdowns konnte ich nicht alle Schauplätze meiner Geschichte aufsuchen, aber ich war im Sommer auf dem Westbalkan und in Norditalien unterwegs. Das nahezu menschenleere Venedig hat mich nachhaltig beeindruckt. So wird man die Lagunenstadt wohl nicht mehr erleben.
Was hat der Corona-Lockdown für Sie als Schriftsteller bedeutet?
Erst mal nichts Außergewöhnliches, Home office macht jeder Autor von Haus aus. Eine Art Kurzarbeitergeld oder befristetes Grundeinkommen für Künstler wäre aber existentiell notwendig gewesen. Von einem Land, das sich seiner reichhaltigen Kultur rühmt, hätte ich mehr als warme Worte und teils unsinnige Hilfsprogramme erwartet. Jetzt kommt es auf jeden einzelnen Leser an. Er hat es in der Hand, ob es morgen noch ein neues Buch beim Buchhändler seines Vertrauens gibt.
Vielen Dank!
(Das Interview ist für Pressezwecke frei.)
Ab 01. November 2020 im Buchhandel:
Roman Rausch: Gallo rosso
Kriminalroman
304 Seiten
Klappenbroschur
EUR 11,90
ISBN 978-3-944359-51-9